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21 Sep | Äthiopiens Textilsektor: Einblicke der besonderen Art

Interview mit Ulrich Fechter-Escamilla und Dr. Christine Mansfeld, Exposure- und Dialogprogramme e. V. (EDP e. V.). 

Exposure- und Dialogprogramme e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der außergewöhnliche  Fortbildungsprogramme für Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft anbietet. Vom 20. bis 27. Oktober bietet EDP e.V. eine Reise nach Äthiopien mit dem Schwerpunkt „Gute Arbeit“ in der Textilverarbeitung an. Die Cotton Report-Redaktion sprach mit Geschäftsführer Ulrich Fechter-Escamilla und Dr. Christine Mansfeld, Programmreferentin, über das Besondere des Programms und die Bedeutung des Baumwollsektors für die Vereinsarbeit.

Bremen Cotton Report: Welche Ziele stecken hinter Ihrem Angebot, eine Zeitlang Erfahrungen in der Lebenswelt von Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern zu sammeln?

Ulrich Fechter-Escamilla: Seit 20 Jahren verfolgen wir das Ziel, Entscheider für Armutsminderung zu sensibilisieren. Mit unserem Programm sprechen wir Personen an, die sich oft nicht ihres eigenen Potentials in diesem Bereich bewusst sind und fördern die Netzwerke der Teilnehmenden untereinander.

Dr. Christine Mansfeld: Das Besondere an unserem Angebot ist, dass die Teilnehmenden Erfahrungen direkt vor Ort sammeln, und zwar sehr praktische und persönliche, da sie den Alltag der Menschen für einige Zeit komplett teilen. In einer angeleiteten Reflektion nach dem eigentlichen Exposure geht es darum, die persönliche Erfahrung zu transformieren und für das eigene berufliche Umfeld nutzbar zu machen. Die Reise wird von Facilitatoren begleitet, die die Teilnehmenden sprachlich und kulturell unterstützen.

An wen richtet sich die anstehende Reise nach Äthiopien?

Ulrich Fechter-Escamilla: Die Reise richtet sich prinzipiell an drei Gruppen: Wir sprechen erstens Parlamentarier, insbesondere Wirtschaftspolitiker an. Hier fehlt es den Akteuren oft an konkreter Erfahrung in der Textilbranche. Eine zweite Zielgruppe sind Unternehmensvertreter aus der Textilbranche, zum Beispiel CSR-Verantwortliche, Einkäufer oder Mitarbeitende in der Öffentlichkeitsarbeit. Als drittes sprechen wir Vertreter von NGOs an, die sich mit Wertschöpfungsketten und gerechtem Handel auseinandersetzen. Uns ist eine heterogene Mischung sehr wichtig, um den gegenseitigen Austausch und die Netzwerkbildung zu fördern. Über die persönliche Erfahrung des Exposure hinaus ist der Wissens- und Erfahrungsaustausch unter den verschiedenen Teilnehmenden ein wesentliches Ziel der Reise.

Produktkontrolle im Textilfertigungsprozess © EDP e. V.

Dr. Christine Mansfeld: Für die Teilnahme an der geplanten Reise nach Äthiopien haben wir bisher Vertreter aus allen Gruppen gewinnen können, die ja auch im Textilbündnis in dieser Form vertreten sind. Allerdings würden wir uns noch eine größere Beteiligung von Unternehmensseite wünschen. Uns ist bewusst, dass diese aufwendige und anstrengende Reise zunächst keinen direkten wirtschaftlichen Nutzen in Form von neuen Kunden oder Aufträgen bringt. Die Reise erhält ihre Bedeutung über die intensive Begegnung und die persönliche Erfahrung, was zu einem neuen „Spirit“ und größerem Verständnis der eigenen Verantwortung führt.

Haben Sie Erfahrungswerte über den Nutzen, den die Reisen für die beteiligten Personen haben?

Ulrich Fechter-Escamilla: Wir wissen aus persönlichen Rückmeldungen, dass viele Teilnehmer auch noch Jahre nach der Reise auf ihre Erfahrungen zurückgreifen: eine Summe vieler prägender Erlebnisse, die später im beruflichen Kontext immer wieder aufgerufen wird. Die Reise wird als sinnstiftend empfunden und führt manchmal auch zu ungewöhnlichen Quervernetzungen, wie zum Beispiel zwischen kirchlichen Würdenträgern und Politikern über Parteigrenzen hinweg. Viele Teilnehmende bleiben dem Themenbereich beruflich verbunden.

Was macht Ihr Partnerunternehmen, die DBL Group aus Bangladesch, so besonders?

Ulrich Fechter-Escamilla: EPD e. V. sucht für seine Programme Partner und Akteure, die „Licht am Ende des Tunnels“ aufzeigen, also positive Veränderungen angestoßen oder nachahmenswerte Projekte initiiert haben. Wir wollen keinen Armuts­tourismus betreiben, sondern Perspektiven aufzeigen. Die DBL Group hat im eigenen Land bereits vor dem Unglück von Rana Plaza 2013 daran gearbeitet, Sozialstandards in der Produktion von Textilien zu verbessern. Nun hat das Unternehmen den Mut, in Äthiopien etwas Neues aufzubauen und denkt von Anfang an über gute Arbeitsbedingungen nach. Die DBL ist ein traditionelles Unternehmen, das langfristig plant und weitsichtig handelt.

Welche Rolle spielt der Baumwoll­anbau in ihrem Programm?

Ulrich Fechter-Escamilla: Baumwolle in Afrika ist ein Produkt der Armen. Der kleinbäuerliche Baumwollanbau sichert vielen Menschen dort die Existenz. Eine zunehmende Indus­trialisierung oder gar Substituierung der Baumwollproduktion setzt die Kleinbauern unter Druck. Wir sehen in dem Produkt Baumwolle eine wichtige Chance, den kleinbäuerlichen Anbau zu modernisieren und beispielsweise auch über CSR-Maßnahmen die Lebensbedingungen von vielen Millionen Menschen zu verbessern. Die Akteure in der Textilwirtschaft sollten sich ihres Potentials der langfristigen Existenzsicherung für die Farmer viel stärker bewusst sein.

Dr. Christine Mansfeld: Eines unserer letzten Exposure haben wir in Indien zu Kinderarbeit im Baumwollsaatgutsektor durchgeführt. Wir setzten am Beginn der Wertschöpfungskette an und thematisierten, wie menschenrechtliche Fragestellungen eine stärkere Rolle erhalten können.

Wo sehen Sie weitere Ansatzpunkte für Veränderungen der Arbeitsbedingungen in der textilen Lieferkette?

Ulrich Fechter-Escamilla: Der Baumwollanbau und die Konfektion, das heißt die Fertigung von Textilien und Bekleidung stehen in unseren Programmen im Vordergrund. Sie verfügen als arbeitsintensive Bereiche über das größte Potential für Armutsminderung. Unser Ziel ist es, Investitionsmöglichkeiten für gute Rahmenbedingungen und den unmittelbaren Nutzen für die Arbeiterinnen und ihre Familien aufzuzeigen:

Wäre es nicht zielführender, stärker international zusammenzuarbeiten, zum Beispiel bei den Sozialstandards?

Ulrich Fechter-Escamilla: Oft ist der nationale Diskurs zu eng, wie es ja auch beim deutschen Textilbündnis der Fall ist. Mit der DBL Group stellen wir einen international vernetzten Partner vor, der auch über schwedische und afrikanische Investoren verfügt. Wir halten es für notwendig, mit Netz­werken zusammenzuarbeiten, die über langjährige Erfahrungen bei der Umsetzung und Verbesserung von Sozialstandards in allen wesentlichen Produktionsländern verfügen. Eine dieser Organisationen ist zum Beispiel amfora (früher BSCI), eine vom international operierenden Handel getragene Initiative zur Umsetzung gemeinsamer Sozialstandards. Das Potential für Verbesserungen im Netzwerk aus weltweit tätigen Unternehmen in der gesamten Lieferkette ist enorm und bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Informationen zur Reise nach Äthiopien

Die Interviews in der Rubrik „Nachgefragt“ entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.

Kategorie: Interviews

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